In meinen Beikost-Einführungs-Kursen habe ich immer wieder die Mütter gefragt, welche Beikost Empfehlungen sie bereits erhalten haben. Es war sehr interessant zu hören, wie viele verschiedene Empfehlungen es in einer kleinen Gruppe in derselben Stadt, in derselben Kultur gibt!
Die meisten Empfehlungen – nicht nur von Freunden und der Familie, sondern auch von Kinderärzten und Hebammen –, waren völlig gegenteilig:
Im Laufe der Geschichte gab es verschiedene Orientierungen darüber, wann mit der Beikost-Einführung begonnen werden sollte. Mal sollte die Beikost erst eingeführt werden, wenn die ersten Zähnchen erschienen, mal sollte man zwischen den 4. und 8. Monaten mit der Beikost beginnen, wenn das Baby von sich aus zu essen beginnen wollte.
Mit der industriellen Revolution begannen die Frauen ihre Zeit zwischen Arbeit und Kindern aufzuteilen und mit der Erfindung von Babynahrung und Babymilch wurde die Stillzeit immer weiter reduziert. Nur um eine Vorstellung zu erhalten: Zwischen 1950 und 1970 wurde die Beikost bereits ab dem 2. Lebensmonaten eingeführt. Aufgrund der immer kürzer werdenden Stillzeiten begannen die Ärzte, Fleisch und anderen mikronährstoffreichen Lebensmittel (wie z.B. Obst, Gemüse und Kartoffeln) zu verschreiben, um die Inhaltstoffe der Muttermilch so schnell wie möglich zu ersetzen.
Ab den 1980er Jahren begannen sich die Dinge wieder zu ändern. Der brasilianische Forscher Cesar Victora leitete eine Studie, die als Wendepunkt auf dem Gebiet der Säuglingsernährung gilt. Seine Arbeit war die erste, die zeigte, dass ausschließliches Stillen (ohne dem Baby Wasser oder Tee anzubieten) das Risiko:
Diese Studie, die später auch in anderen Ländern durchgeführt wurde, hat die weltweiten Empfehlungen für die Ernährung von Säuglingen völlig verändert.
Seit 2001 empfiehlt die WHO, dass Babys in den ersten sechs Lebensmonaten ausschließlich mit Muttermilch ernährt werden sollten. Dennoch wird heute noch weitergegeben, dass Babys ab dem 4.Lebensmonat mit dem Beikost anfangen oder Tees bekommen können.
Der Zweifel an unzureichender Milch begleitet die Mutter von Geburt an. Nach sechs Monaten, wenn das Baby theoretisch mit dem Essen anfangen sollte, wird dies noch stärker betont. Irgendwie verstärkt die Volkskultur diesen Mythos mit dem Glauben, dass sich Muttermilch mit der Zeit verwässert.
Den Eltern wird erzählt, dass Milch nicht mehr satt macht und dass das Baby feste Nahrung essen muss. Dieser Glaube führt zu der absurden Anstrengung der Eltern, das Baby um jeden Preis zum Essen zu bewegen. Durch die Empfehlung, Milchmahlzeiten zu ersetzen, wird dieser Glaube noch weiter verstärkt. Andere behaupten, dass Muttermilch der Grund dafür ist, dass das Baby nicht genug Brei zu sich nimmt. Die Industrie macht sich dies natürlich zunutze und bringt immer mehr Produkte auf den Markt, die von Kindern leicht akzeptiert werden, wie Quetschies, Kekse und Produkte mit Mehl, Stärke und Saftkonzentrate.
Wenn wir aber diese Tabelle der WHO anschauen, sehen wir, dass Muttermilch nach sechs Monaten weder „schlechter“ noch „weniger gehaltvoll“ wird. Tatsächlich deckt die Muttermilch bis zum Alter von 12 Monaten mehr als die Hälfte des Kalorienbedarfs eines Babys! Die Nahrung sollte die Milch ergänzen – und nicht umgekehrt.
Alle großen Gesundheitsinstitutionen auf der ganzen Welt halten Muttermilch für die ideale und perfekte Nahrung für Säuglinge bis zu sechs Monaten und sind der Meinung, dass das Stillen bis zu zwei Jahren und darüber hinaus gefördert werden sollte.
Ab der Einführung von Beikost ist Muttermilch nicht mehr die einzige Nahrungsquelle, es bleibt aber im gesamten ersten Lebensjahr die Hauptnahrungsquelle der Babys. Mit dieser Erkenntnis können sich Eltern viel sicherer fühlen und wissen, dass die Einführung von Beikost langsam und schrittweise erfolgen kann.